14. Dezember 2011
Norbert Klaus
Ausstellung: pro arte ulmer kunststiftung
Von Prof. Cüppers
Die ausgestellten Arbeiten von Norbert Klaus dokumentieren einen langen Weg künstlerischen Arbeitens von den frühen Zeichnungen seiner
Berliner Jahre bis zur Entwicklung der Reisigskulpturen, die nach der Ausformung eines Grundvokabulars sich auch des dialogischen Prinzips
bedienen, um schließlich in jüngerer Zeit die strengen Vorgaben des Materials gestisch zu überwinden, dazu die Prägedrucke, die das
spröde Ausgangsmaterial in das heitere Weiß feiner Papierreliefs verwandeln.
In den großformatigen Bleistift- und Kohlezeichnungen – oft weiß gehöht - , sind die Dickichte, die undurchdringlichen Gestrüppansammlungen
exakter Naturbeobachtung anzutreffen. Teilweise sind die Blätter, die Bezüge zur Landart und der Kargheit der Arte povera aufweisen, mit
fast fotografischer Genauigkeit dargestellt. Sie vermitteln die Ergebnisse beharrlichen Vorgehens, Strukturen und Überlagerungen zeichnerisch
zu bearbeiten. In diesen Blättern liegen die Wurzeln einer späteren Dreidimensionalität, die das Werk von Norbert Klaus bestimmen.
Die Wahrnehmung von Skulpturen und plastischen Objekten bezieht sich auf ihre Stellung im Raum, ihrer dreidimensionalen Körperlichkeit und
die Definition der Oberflächen durch Licht und Schatten. Vielfach gilt es durch die Wahl des Materials und durch Abformungsprozesse
möglichst makellose Oberflächenverläufe zu erzielen, nicht zuletzt um eine klare Abgrenzung zwischen Raum und Objekt zu bestimmen.
Die hier ausgestellten Reisigskulpturen widersetzen sich dieser Form des Aneignens bei der Wahrnehmung, sie sind spröde, fassen sich hart,
fast abstoßend an. Das Arbeitsmaterial entstammt einer herben Landschaft, es sind die Reisigruten von Buschwerk und Hecken, von Sträuchern, wie
wir sie in der Alblandschaft und ihren Gärten vorfinden. Sie heißen Blutpflaume oder Hartriegel, auch Haselnuss und Weide. Jede Reisigsorte
folgt eigenen Gesetzen der Verarbeitung, des Sammelns und Trocknens in Abhängigkeit der Jahreszeiten und Wachstumsphasen.
Die Garage von Norbert Klaus ist zur Reisigschatzkammer geworden, hier lagern die Reisigbündel. Manche müssen im schnittfrischen Zustand
verarbeitet werden, ihnen wird Biegsamkeit abverlangt, andere bedürfen der Trockenhärte, um dem Verdichten bei der Arbeit am Objekt
standzuhalten. So entsteht das Grundvokabular der Reisigskulpturen: Kugel, Kubus, Quader, Zylinder, liegend, stehend, hängend.
Ihnen allen ist eine kleinteilige, brüchige Oberfläche eigen. Die formumschließenden Flächen bestehen aus einer Vielzahl von runden und
ovalen Schnittflächen, die abwechselnd mit den benachbarten Leerstellen, räumlichen Einbuchtungen, sich dem umschließenden Flächenverlauf
widersetzen und sich damit der Modellierung durch Licht und Schatten entziehen. Der Betrachter wird zum Formvollender, sein Auge bindet die
Vielfalt der Einzelformen zu einem schlüssigen Ganzen zusammen.
Diese Objekte handeln ausschließlich von sich selbst, kein erzählerischer Ansatz, keine Metapher, keine Überhöhung: es herrscht Bedeutungsarmut,
eine andere Ebene der Gestaltannäherung wird dem Betrachter bei diesen schweigsamen Objekten abverlangt. Das genaue Betrachten
kleinster Formintervalle, die Entdeckung der Oberflächenbeschaffenheit verwendeter Reisigruten, die schründige Rinde, vertrocknete Knospen und
Blattansätze, die naturbelassene Farbigkeit des Flechtwerks oder auch Farblasuren, welche den Objekten etwas mehr Distanz zu ihrer
Naturherkunft geben, sie bilden die Wahrnehmungsereignisse, bilden die Obertönigkeit der umschließenden Gesamtform.
In den Glasschränken sind Zementabgüsse von Alltagsgegenständen gruppiert; die Ansammlung von Flaschen und Gefäßvolumen erinnern mit ihren
leichten Formveränderungen an die Bilder von Giogrio Morandi. – Ein Exkurs.
In zunehmendem Maße erweitert Norbert Klaus sein Variationsrepertoir, er setzt stärker auf den Dialog der Materialien unterschiedlicher
Herkunft, indem er seinen rauen Geflechtkörpern, deren Außenformen immer zusammengelesen werden müssen, glattflächige Objekte gleicher
Gestalt gegenüberstellt. Ein anderer Ansatz bezieht sich auf den Unterbau seiner Reisigskulpturen, hier werden vermehrt patinierte Holzblöcke
als Fundament oder Sockel eingesetzt. Die Oberflächen sind schnittrau oder behauen, bleiben dadurch in der Sprache des "armen" Materials.
Neben der ernsten Statuarik beginnen manche Stelen sich den Raum mit leichtem Schwung zu erobern, sie verlassen die Begrenztheit der Standfläche
und zeigen in ihrer Gestik eine neue Beweglichkeit.
Bei den Prägedrucken wird das Arbeitsmaterial, das für die dreidimensionalen Objekte verwendet wird, neu eingesetzt. Statt der
plastischen Verdichtung werden Reisigteile zu fast "zufälligen" Arrangements auf einer Unterlage zusammengelegt und dann mittels stark
eingenässter Papiere und gleichmäßig verteiltem Druck reliefartig abgeformt. Die Ursprungsformen bleiben erhalten, bekommen aber durch das
Blattweiß einen neuen Betrachtungszugang, Licht und Schatten bestimmen dabei die formale Ordnung der Papierreliefs. Durch das Einnässen
des Abformpapiers werden bestimmte Farbpigmente des Reisisgmaterials ausgewaschen, dadurch erhalten manche Prägedrucke eine verhaltene
Farbigkeit, die zu einer Patinierung der Blätter führt und den Eindruck alter Fundstücke aufkommen lässt.
Die Arbeiten von Norbert Klaus zeichnen sich durch schweigsames und unaufgeregtes Vorgehen bei der Aneignung von Welt aus, sie bilden einen
Lehrpfad genauen Hinsehens, der Pfad ist gebahnt, er muss nur noch betreten werden.
Dezember 2009
Norbert Klaus
Ausstellung in Bad Waldsee, Eröffnung am 27. September 2009
Von Prof. Cüppers
[...] Die ausgestellten Arbeiten sind alle im Arbeitshaus des Künstlers, in Weidach, Blaustein zugehörig, einem Dorf auf der Ulmer Alb
entstanden. Der Arbeitsort ist geprägt von einem alten kleinbäuerlichem Haus, das behutsam für die Zwecke von N.K. hergerichtet wurde. Eine
alte, geschichtete Kalksteinwand, raues Gebälk mit Riegeln und Kopfbändern zeigen einen skulpturalen Raum, der durch große Nordfenster sein
Licht erhält. Reisigbündel unterschiedlicher Farbigkeit harren ihrer Verarbeitung, fertige Objekte stehen und hängen wie Eigengeburten
dieser Umgebung und führen untereinander den Dialog. Der Eindruck der gemütlichen Bauernstube fehlt, eher herrscht die Konzentration
einer Objektwelt, die im Werden ist, die vielfach noch der intensiven Bearbeitung durch Schneid- und Schleifgeräte harrt, bis hin zu
einem egalisierenden Überzug mit Farben, die die Reisigobjekte in ihrer spezifischen Materialität in abstrakte Raumzeichnungen verändern.
Spätestens bei diesen verfremdeten Gestrüppkörpern merkt man, dass N.K. ein großer Zeichner ist, der viele undurchdringliche
Strichdickichte gezeichnet hat und in solchen gezeichneten Oberflächen denkt: Oberflächengezweig wie Strichgitter, einladend und abwehrend
zugleich. Wie bei der Zeichnung bleibt das Auge im Unterholz hängen, verliert die Orientierung und ist gezwungen des Künstlers Weg ins Innerste
zu gehen: eine raue Wirklichkeit. [...]