Norbert Klaus
Von Prof. Klaus Bodemeyer
Seine Werkgruppe der Reisigobjekte ist seit 2004 im Wachsen, sperrig, widerspenstig für das Auge und Denken. Für die Hand, die nach
traditionellem Verständnis von Plastik, die wechselnde Spannung der Körpermassen tastend erkunden, das Zusammenspiel von geschliffener
Verdichtung und roher, aufgebrochener Materie begreifen, die Temperatur, Festigkeit, Lichtbrechung an Oberflächen erfassen möchte – eine
Zumutung.
So verstört gleich beim ersten Kontakt diese Konstellation, das überquellend dichte Naturmaterial in eine geometrische, eher visuelle Gesamtform
zu zwingen.
Das Material und seine plastische Umformung dürfte kaum ein glücklicher Zufallsfund sein. Die Faszination, die von dichtesten,
kleinzelligen Strukturen ausgeht, kommt schon in Grafiken zum Ausdruck, die im Umfeld des kritischen Realismus seines Berliner Akademielehrers
Peter Sorge entstanden. Norbert Klaus lag also – bewusst oder unbewusst – wohl eher auf der Lauer, zufallendes produktiv einzufangen.
Das plastische Baumaterial Reisig bildet in der Natur als feine Verzweigung die jüngste Wachstumsgeneration, die sich auf der Suche nach
Energie spendendem Licht, Blätter treibend, in den Raum ausbreitet. Der im Wachsen gefundene Platz im Licht sichert das Leben des Baumes,
indem durch das Blattgrün die Fotosynthese ermöglicht wird.
Der Künstler scheint diese nach außen drängende Wachstumsgeste beim Einsatz in der Plastik geradezu umzukehren. Der plastische Energiekern
dieses räumlichen Geflechts liegt im Zentrum, dem vermuteten Ort dichtester Durchdringung. Die Richtung der Verzweigungen verstärkt kein
Ausstrahlen in den Raum, sie ähnelt eher einem Versammeln um eine Mitte; in der Regel verschwindet die Linienbewegung der Zweige im
schnellen Rhythmus von Abbiegen und Ausweichen bald in der dunklen Tiefe des Flechtwerks.
Die quirlige Mischung ständig wechselnder Richtungen, Materialstärken und Rindenstrukturen wirkt so dicht gepackt, dass jedes Element in
der anonymen Masse aufgeht. Für diese individuelle Ordnung, die weiter vergrößert oder auch verkleinert werden könnte, findet der Künstler
eine Gesamtform, die dem Zweiggewebe buchstäblich in den Leib geschnitten ist.
Die Herrschaft der geometrischen Form über das gewachsene Material wird rigoros durchgesetzt. Noch beim Ablängen der Zweige verlangen Kugel
und Zylinder, Ovoid und Kubus, die Schnittebenen der Zweige der geometrisch reinen Form – die genau genommen hier nur aus der unendlichen
Addition versetzter Schnittebenen besteht – Schnitt für Schnitt anzupassen.
So findet das Chaos der Durchdringungsstruktur stofflich und ideell seine Grenze in der normativen Form von Elementarkörpern. Es gehört zu
ihrem Wesen, dass sie mehr mit Berechnung und Abstraktion, Intellekt und Symbolkraft zu tun haben als mit materialem Reiz und Sinnlichkeit.
Es macht die Komplexität dieser Arbeiten aus, junge, biegsame Naturfundstücke in den alten, gefestigten kulturellen Bezugsrahmen
geometrischer Ordnung zu fügen, aus beiden eine gleichsam aufgeladene Synthese zu formen, die unser Wahrnehmen und Nachdenken herausfordert.
Die jüngsten Arbeiten der Prägedrucke lassen – noch im Wechsel von der Plastik zum Flachrelief – eine konzeptionelle Nähe zu den
Reisigobjekten erkennen. Übernimmt dort die geometrische Körperform die Aufgabe, die Kraft des überquellenden Materials zu bändigen, so lässt
hier der Prägeabdruck die Zweigstrukturen wie ein Echo nachklingen. Die Assoziation von Geschriebenem kommt auf, vom Strophenrhythmus eines
Gedichts bis zum Bewegungsfluss der Zeilen, zum Duktus eines Schriftbildes mit wiederkehrenden Richtungen, Verdichtungen, Betonungen.
Verlor sich bei den Plastiken die Art der Durchdringung in der undurchdringlichen Objekttiefe, so wird sie hier im Prägebild transparent gemacht.