Norbert Klaus

12. November 2005

LA SELVA INCANTATA

Für Norbert Klaus

Von Gerhard van der Grinten

...und der Donner des Laubs, das so leis war in den Büschen folgt uns jetzt auf dem Fuß.
Ingeborg Bachmann

Es war stets ein Charakteristikum der Kunst Norbert Klaus', die Welt ein wenig schärfer ins Auge zu nehmen, als man es gewöhnlich zu tuen sich leistete. Bei näherer Betrachtung ändern sich zuweilen sehr wohl die Eigenheiten ihrer Phänomene. Das kann überaus erhellend sein, komisch zuweilen, manchmal tragisch oder erschreckend, verstörend nicht selten. Aber es hilft ungemein, die Sicht des Betrachters zu klären und festgefahrene Vorstellungen zum Einsturz zu bringen.
Nicht, dass Klaus in jenem Sinne ein Umstürzler wäre, nein, seine Attraktionen kommen gewöhnlich leise daher, wirken umso nachträglicher. Und halten lange an. Es wäre ja ein Einfaches, Brimborium zu nutzen oder zwecks vorgeblicher Erhellung philosophisch zu bramarbasieren. Allein, so einfach machte er es sich nicht. Was sich hier zeigte und niederschlägt, tut dies alleine im Material und seiner Formulierung. Und die Wirkung ist vielleicht zunächst unspektakulär. Zumindest, bis einem aufgeht, dass sich Material um Material in einer Art und Weise präsentiert, die seinen Konventionen gemäß ganz und gar nicht gewöhnlich ist.

Kreuzt sich hier doch Geometrie mit Organischem, Kristallines mit spürbarer Verwerfung. Da welken geflochtene Kuben; Flechtwerk in der Tat, als handelte es sich um einen Korbstuhl oder ein Tragbehältnis. Nur ist dieser Korb ein Kubus. Und der Kubus zerfällt, ganz entgegen der Stabilität und Unverwüstlichkeit geflochtener Weiden, als altere er vorzeitig, löste sein Gewirke, wäre vernutzt. Das einst Konzise, und dabei noch Mathematisch-Geometrische, zersetzt sich ins Organische, ins Weiche. Was den Weidenzweigen in dieser Form gar nicht eignet.
Dann sind da die Steine, die in phänomenologischer Versammlung die früheren Keramiken der OALM-Serie durchaus fortsetzen. Diese hier aber, Quader, Längsrechtecke, scheinen unmißverständlich den Wunsch zu äußern, ihre Stereometrie zu überwinden, wiegen, schwingen, recken, beugen sich nach Kurvilinearen, zusehends amorphen Krümmungen. Wogen, als suchte die eingeschlossene Bewegung nach Entladung. Und es sind merkliche, drängende Kräfte in dieser Bewegung, welche die klaren Kanten niederzwingen und sich in Torsion ergehen, wie sonst ein belebter Körper, dessen Wesen aus der Isolation nach außen drängt. Sie fußen auf hölzernen Plinthen, die ganz im Gegensatz zu ihnen ihre Form strenge bewahren. Als müssten sie dem Toben und Poltern dessen, was dort aus seiner steinernen Hülle drängt, erst recht festen Charakter entgegnen.

Hölzern ist schließlich der Grundstoff der umfangreichsten jüngeren Werkgruppe. Allerdings wohl sicherlich nicht hölzern, wie man es dem Wesen des Stoffes nach erwartete. Und ganz entschieden eine deutliche Antithese zu jenem steinernen Rumor. Denn die Skulpturen sind nicht massiver Block, sie sind aus Zweigen verflochten. Zu solch einer Dichte komprimiert, dass das Reisig vollkommen undurchdringlich geworden ist. Blickdicht, verschlossen. Das nimmt nicht vom Eigenleben des Geästs:
Verzweigung, Verjüngung, Biegung, nicht selten gegen die äußere Kontur. Es ist noch immer gewachsen. Selbst in dieser zur Ballung reduzierten Gestalt. Aber es gewinnt dadurch an Selbstähnlichkeit, diesem Phänomen, dass bei immer weiterer Zerteilung die stets verwandte Grundform offenbar wird. Dem schneidet der äußere Umriss die weitere Verzweigung, den Fortwuchs ab. Sind doch die Arbeiten in klaren geometrischen Formen gehalten: Kubus und Kugel, Linse und Quader, Stele und Zylinder. Entgegen aller Organik. Auch diese gesockelt. Auf Metall. So wieder Entgegnung von Stoffen zu Stoff.

Randvoll mit Innenleben sind diese Figuren, mit einem lebendigsten Sich-Ausbreiten und Wachsen. An der Außenkante strikt geklappt. Denkbar schärfster Kontrast von Schnittflächen und Rinde. Plan nach außen, tumultarisch nach innen. Die einen im Raum, anderen als Objekt an der Wand. Als ein Gegenüber, in das sich versenken lässt. Vielleicht mögen sie am ehesten die konturgeschnittenen Bosketts und Palmbüsche barocker Landschaftsparks denken lassen, die auf solche Weise der Natur selbst eine klare Grenze zuzudefinieren versuchten. Und sie zeigen zugleich doch auch die Grenze aller Verdichtung und Zumessung: denn in ihrem Schattenwurf lösen die Skulpturen sachte in Büsche sich auf...